englische Textversion →

Bolivien
Über den Dächern von La Paz

Schwebebahn Teleferico in Laz Paz - traditionell gekleidetes Pärchen schwebt über die Stadt

La Paz ist mit seiner Lage auf 3800 Metern über dem Meeresspiegel einfach atemberaubend: ein riesiger Talkessel in den Bergen, in dem knapp 800.000 Menschen leben. Unendliche Gassen, die sich bergauf, bergab und im Zick-Zack durch die Stadt schlängeln, zehntausende Häuschen, die auf jedem verfügbaren Quadratmeter dem Winde trotzen und endlos scheinende Autokarawanen, die sich durch die Straßen quälen. Ein Gewusel, das seines Gleichen sucht. Aber richtig interessant wird es erst, wenn man das Ganze wie ein Vogel im Flug von oben betrachtet und dafür in eine der Seilbahnen steigt, die im Jahr 2014 eröffnet wurden. Mit dem Ausbau in den nächsten Jahren soll dabei ein weit verzweigtes Nahverkehrssystem über den Dächern der Stadt entstehen. "E.T. - Der Außerirdische" lässt grüßen, denn mit ein bisschen Fantasie fühlen sich die Gondelfahrten an wie die Fahrradflüge in selbigen Film.

Ort der Fotoaufnahmen: La Paz
Koordinaten: 16°29'39.0"S 68°08'51.0"W
Dank an: Sergio Rivero

Es soll ein Sauerstoffzelt auf dem Flughafen von La Paz für die Passagiere geben, denen nach der Landung auf 4100 Metern wegen der dünnen Luft die Puste ausgeht. Zum Glück konnte ich mich zwei Wochen lang in den peruanischen Anden an diese Höhe gewöhnen, bevor sich mein Bus über eine Hochebene dem Rand eines gigantischen Talkessels näherte und dort mit der letzten Kurve den Blick auf Laz Paz freigab.

In der Abendsonne leuchteten zehntausende unverputzte, rote Ziegelhäuser mit funkelnden Wellblechdächern, die von einem Gewirr an Straßen und Gassen durchzogen wurden. Die Behausungen erstreckten sich auf jeder nur verfügbare Fläche von der Talsohle (bei 3400 Metern) bis an den steilen Rand des Kessels und darüber hinaus auf das Altiplano.

Als wir mit dem Bus hinunter ins Stadtzentrum rollten, sauste plötzlich eine Gondel über uns hinweg. Sie sah aus wie eine Gondel aus den Skigebieten der Alpen. Ich wunderte mich, hatte ich doch über eine Seilbahn in den Reiseführern nichts gelesen. Aber das konnte ich auch nicht, wie sich später auf Nachfrage im Hostel herausstellte, denn im Frühjahr 2015 war die Anlage erst ein halbes Jahr alt. Diese technische Errungenschaft wurde in der Stadt auf Riesenplakaten und Bannern zelebriert, nicht ohne sich beim Präsidenten des Landes Evo Morales für diese Gabe ordentlich zu bedanken.

Die Gondelbahn wurde vom österreichischen Doppelmayr-Konzern gebaut und ist die erste ihrer Art in Bolivien.

Während es im bolivianischen Alltag häufig drunter und drüber geht, war der Betrieb der Seilbahn bis ins letzte Detail straff durchorganisiert. Stewardessen halfen beim Auf- und Absteigen in die Gondeln, Reinigungskräfte sprühten einmal pro Fahrt Raumduftspray in die Kabinen und an den Haltestationen stellen die Klofrauen für den Toilettengang Quittungen aus, deren Abmaße genau so groß waren wie das Stückchen Klopapier, das sie mir überreichten.

Für viele Einheimische war die Seilbahn eine Sensation, die auf Erinnerungsfotos festgehalten werden musste. Und mir ging es genauso. Und so schwebte ich nur wenige Meter über den Häuserdächern und fotografierte die Straßen und Gassen, die Vorgärten und Hinterhöfe, flog vorbei an einem Fußballstadion, über Friedhöfe hinweg und betrachtete die Leibesübungen von Soldatenanwärtern in einer Kaserne.

Ich wollte meine Ansichten von der Stadt mit einer Porträtreihe der einheimischen Passagiere abrunden und nahm mir vor, die Bolivianer in den Gondeln zu fotografieren. Sie sollten dabei in die Kamera schauen, während ich für den Hintergrund die Stadt aus der Vogelperspektive einfangen würde. Mein Vorhaben jedoch wurde zu einem unrealisierbaren Unterfangen. Ich unterschätzte nämlich die Ausgangssituation, in die ich mich begab und die ich am besten mit dem Betreten eines vollgestopften Fahrstuhls beschreiben würde. Wer hat schon Lust, sich auf einer Fahrstuhlfahrt von einem Fremden porträtieren zu lassen? Außerdem zählen nach meinem Eindruck die Bolivianer zu den reservierteren Zeitgenossen und mein Spanisch reichte nicht aus, in einer Situation wie dieser, das Eis zum Schmelzen zu bringen. So funktionierte das jedenfalls nicht und ich musste mir eine andere Taktik überlegen.

Also fuhr ich mit der Seilbahn hinunter ins Tal, wo sich die wohlhabenderen Stadtteile befinden. Ich positionierte mich neben der Kasse an der Talstation, hing meine Kamera um den Hals und lächelte jeden Einheimischen freundlich an. Anhand der Reaktion versuchte ich einzuschätzen, wer offen für ein kleines Gespräch mit mir und ein paar Fotos sein könnte. Wenn ich dachte, auf einen solchen Menschen gestoßen zu sein, reihte ich mich in der Warteschlange vor den Gondeln in dessen Nähe ein und versuchte es hinzubekommen, dass mich die Stewardessen der gleichen Gondel zuteilten. Einmal dauerte es über eine Stunde, bis ich einen verheißungsvollen Blickkontakt zurückbekam. Wenn ich es dann einmal mit dieser Person in eine Gondel geschafft hatte, gab es gute Chancen, dass mein Plan aufging.

Auf diesem Weg bekam ich am Ende dann doch noch die Porträtreihe zusammen und freute mich über die Einblicke, die mir die Passagiere in ihr Leben gewährten.

Mittlerweile wussten auch die Stewardessen in den Stationen, wer ich war und was ich im Schilde führte. Mit ein paar Blickkontakten halfen sie mir, mich mit den richtigen Menschen in die richtige Gondel zu setzen.