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Kolumbien
Plaza de la Santísima Trinidad

Junger Mann singt auf dem Trinidad-Platz in Kolumbien

Cartagena ist bekannt für seine Altstadt, die mit ihrem spanischen Kolonialstil zu den schönsten Städten Lateinamerikas gehört. Tagsüber ist sie wahrlich bezaubernd, aber erst am Abend erwacht sie zum Leben, wenn man den Trommeln und Gitarrenklängen lauschen, zu Salsa-Rhythmen tanzen, an den Barbecues schnuppern, karibischen Rum genießen und eine Menge lebensfroher Menschen kennenlernen kann.

Ort der Fotoaufnahmen: Cartagena
Koordinaten:
N10° 25' 14.736" W75° 32' 43.26"  
Dank an: Nicoli

Beim Reisen begleiten mich häufig zwei Gestalten, die in meinem Kopf immer wieder aneinander geraten. Die eine Gestalt nennt sich "Giergerd", ein rastloser Typ, der immer präsent ist, der jeden Strand, jeden Stadtteil und jedes Dörfchen auskundschaftet, und der immer einen Schritt weiter gehen will. Die andere Gestalt nennt sich "Relaxe-Hexe", die gern verweilt und den Moment geniest. Die Relaxe-Hexe lässt die Gedanken gern schweifen und würde stets gern einen Tag länger bleiben.

In Cartagena hatte zweifelsohne Giergerd das Sagen. Die Stadt liegt an der karibischen Küste, ist schöner als das oft gepriesene Santa Marta, das sich 200 km nordöstlich befindet und eins der vielen Highlights Kolumbiens.

Bestens gelaunt schlenderte Giergerd mit uns durch Cartagenas Altstadt, wo man noch förmlich spüren konnte, wie dort die spanischen Eroberer ihr Wesen und Unwesen trieben. Wir spazierten über den Marcado Bazurto, einem quirligen Markt, in dem man schnell die Orientierung verliert, kletterten hinauf zum Convento de la Popa, einem Kloster, von dem man aus einen fantastischen Panoramablick genießen kann, schlingerten mit einem Stadtbus über den Sandstrand von La Boquilla und paddelten mit einem Kanu durch die hiesigen Mangrovenwälder, passierten die schneeweißen Apartmenthäuser von Boca Grande, huschten links und rechts an den Gauklern und Pantomimen vorbei, die mit dem Sonnenuntergang in der Altstadt ihre Klingelbeutel aufknüpften, bahnten unseren Weg durch Wolken aus Seifenblasen und ließen uns schließlich von den leckeren Gerüchen anlocken, die die Betreiber der Restaurants zum Abendbrot mit Ventilatoren von ihren Eingängen und Fenstern von eigens hierfür platzierten Schmorbraten hinaus auf die Fußwege pusteten. Ein wunderschöner Tag mit vielen Eindrücken, der noch mit einem Glas Rotwein auf dem Balkon unseres sich in einem benachbarten Stadtteil gelegenen Hostels abgerundet werden sollte.

Als wir jedoch gegen Mitternacht schon fast die Herberge erreicht hatten, hielten wir noch einmal kurz inne und setzten uns auf die Treppenstufen vor der Iglesia de Santísima Trinidad, einer kleinen Kirche, auf deren Vorplatz sich im orangen Schimmer der Straßenlaternen schätzungsweise 200 Kolumbianer versammelt hatten. Im ersten Moment waren dort wirklich nur "200 Leute" zu sehen, die dort standen und saßen, aber je länger man die Einheimischen beobachtete, desto deutlicher wurde, dass es sich hier um einen ganz besonderen Mikrokosmos handelte. Die Kolumbianer kamen hier zusammen, um den Abend bei Musik und Gesprächen, bei einem Schachspiel, einem deftigen Snack, einem Tänzchen, leckeren Cocktails oder bei einem Sangesauftritt ausklingen zu lassen. Dabei machte sich eine angenehme Form der Gelassenheit breit. Alle waren auf eine eigenartige Weise miteinander verbunden.

Da waren Polizisten, die sich Hamburger zubereiten ließen, miteinander tuschelten und lachten, so dass schwer auszumachen war, ob sie sich noch auf Streife oder bereits im Feierabend befanden. Da war ein Gitarrist, der Adam Green und Oasis auf Spanisch zum Besten gab und sich dabei von seinen Gefühlen so sehr übermannen ließ, dass er sich von Passantinnen immer wieder die Textbausteine zurufen lassen musste. Später sorgte eine Trommelgruppe für den Herzschlag unter den Laternen, wobei die Cogas, Maracas und Tamburins immer wieder reihum gereicht wurden. Da waren alte Opis, die sonst nur Zeitung lasen und jetzt aufgestanden waren, um ihre Körper zu den Hüftschwüngen der Salsa-Schönheiten zu synchronisieren. Da waren Rucksacktouristen, die auch mal nichts zu erzählen hatten und ihre Haare zum Rhythmus der Bongos durch die Abendluft wedelten. Da waren Zigarettenhändler, die sonst den ganzen Tag durch die Stadt flitzten und ihre Waren feilboten und jetzt einfach mal Pause machten. Und da war die Nachtschicht der Straßenfeger, die scheinbar völlig unbeeindruckt von allem ihre Besen schwangen und den Platz polierten. Der Trinidad-Platz fühlte sich an wie ein großes Familientreffen, eine Gemeinschaft, ein Klub, in dem jeder dazugehörte, der seinen Fuß vor die Kirche gesetzt hatte. Alles passte zueinander und über allen schwebte eine einzigartige Leichtigkeit.

Ich hatte das Gefühl, mich einem tieferen Verständnis anzunähern, wie die Kolumbianer das Leben verstehen könnten oder zumindest einem Aspekt deren Savoir-Vivre, den ich nirgendwo anders in Kolumbien so wahrgenommen hatte. Ich machte ein paar Fotos, wenngleich ich es für Vergeben halte, diese Atmosphäre damit nachspürbar machen zu können. Manchen Ereignissen können eben weder Fotos noch Texte gerecht werden.

Auf jeden Fall hatte Giergerd schon lange nichts mehr zu vermelden. Die Relaxe-Hexe kam auf ihre Kosten und aus dem kurzen Innehalten wurde noch eine lange Nacht.

Im Übrigen: Einen ähnlichen Ort findet man auch in Cali, im Park vor der Iglesia de San Antonio ... aber das ist eine andere Geschichte.