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Myanmar
Die heiligen Wasserflaschen

Nonne in Myanmar (Birma, Burma)

Wer sich in den Bergen des burmesischen Shan-Staates eine Erkältung einfängt, einen Knöchel bricht oder sich mit einem Magen-Darm-Virus infiziert, wird leider nur eine äußerst rudimentäre medizinische Versorgung vorfinden. Aber das muss noch nicht das Ende sein. In der Gegend gibt es nämlich eine außerordentlich freundliche und obendrein wunderschöne Nonne, die die Kranken heilt. Dabei tut sie nicht mehr, als ihre Hand aufzulegen. Wenn die Nonne auftaucht, bilden sich Warteschlangen vor den Tempeln. Für die Einheimischen ist dies jedes Mal ein ganz besonderes Ereignis und für viele Schwerkranke ein Neuanfang, vorausgesetzt, man hat etwas Bargeld für die Nonne dabei.

Ort der Fotoaufnahmen: Hsipaw
Koordinaten: 22°37'11.4"N 97°18'01.6"E

Dank an: Thura Aning, http://thuratrips.page.tl

Wir kamen zurück von einer Motorradtour durch die Berge des Shan-Staates in die Kleinstadt Hsipaw, die sich 200 km nordöstlich von Mandalay und rund 250 km vor der chinesischen Staatsgrenze befindet. Wir, das waren Lawrence, ein Amerikaner mit Knieproblemen, Klaus, ein Deutscher mit Tinnitus und ich, der sich in den Bergen eine Mandelentzündung eingefangen hatte. Schluckbeschwerden machten mir zu schaffen. Die Tour steckte uns mächtig in den Knochen. Wir waren todmüde und freuten uns auf ein Bett im Hostel.

Als wir uns dem Stadtzentrum näherten, bemerkten wir, dass auffällig viele Menschen Wasserflaschen mit sich trugen. Das war schon komisch, denn die burmesische Standard-Wasserflasche wurde zwar an jeder Straßenecke für umgerechnet 50 Cent angeboten, aber die Flaschen wurden nach meinem Eindruck kaum gekauft. Wir fuhren in die Richtung, von wo die Menschen herkamen und fanden ein paar Blocks weiter die Quelle der Wasserflaschen: einen Tempel, von dem aus Tempeldiener die Flaschen für umgerechnet einen Euro über die Mauern und durch die Fenster reichten. Überall dort, wo die Diener auftauchten, wurde ihnen das Wasser regelrecht aus den Händen gerissen.

Der 100-prozentige Aufschlag, so erfuhren wir, war einer göttlichen Segnung geschuldet, die eine Nonne in den frühen Morgenstunden an den Flaschen vorgenommen hatte. Dafür waren die Schraubverschlüsse der Wasserflaschen von den Helfern auf mehreren Paletten ein Stück aufgeschraubt worden, so dass die Segnung - wie auch immer diese ausgesehen haben mag - an die Flüssigkeit gelangen konnte. Die Menschen sprachen dem "gesegneten Wasser" nun eine vitalisierende und heilende Wirkung zu, mit der man kleinere Beschwerden und Krankheiten bekämpfen konnte. Wow! Das klang unglaublich! Aber natürlich wussten wir schlauen Ausländer, dass, wenn überhaupt, allein der Glaube daran eine heilende Wirkung hervorrufen könnte. Aber je länger wir dem Treiben zusahen, desto mehr zweifelten wir. Uns juckte es in den Fingern, doch auch selbst von dem Zaubertrank zu probieren.

Also kauften wir jeweils eine Flasche und spürten der Flüssigkeit nach, wie sie in uns hineinfloss. Wir warteten gespannt in der Sonne. Aber es passierte nichts. Ein Tempeldiener erzählte uns, dass die Nonne noch einmal vorbeikommen würde und falls wir Bedarf hätten, uns in die Reihe der Kranken einreihen dürften, die die Nonne später heilen würde. Zumindest einem von uns würde er diese Ehre zu Teil werden lassen. Der Diener zeigte uns eine Strichliste, die die Heilungserfolge der Nonne belegen sollte. Sie hatte am Vormittag allein durch das Auflegen ihrer Hände einen Gelähmten zum Laufen verholfen und mehrere Taubstumme zum Sprechen gebracht. Der Mann und die Helfer, die ihn flankierten, ließen keinen Zweifel daran.

Zwei Stunden später drängte sich ein Fahrzeugkonvoi mit einem auf Hochglanz polierten, schwarzen SUV-Nissan in Richtung Tempel. Die Nachricht über die Rückkehr der Nonne versetzte die Menschenmenge in Euphorie. Die Helfer drängten die Menschen an die Seiten, um eine Gasse für die Durchfahrt zu schaffen. Ich suchte nach einer Erhöhung, um den Trubel von oben fotografieren zu können und kletterte auf einen Baum, aber dort waren mir die Äste im Bild. Ich stieg auf eine Mauer, aber dort war der Sims viel zu schmal, um darauf stehen zu können. Schließlich spurtete ich über den Platz und sprang auf einen Tisch, auf dem bereits ein Helfer mit einem Megaphon in der Hand die Meute zu organisieren versuchte. Augenblicke später hielt der Konvoi und die Nonne setzte ihren Fuß in den Staub. Ich hatte nun die Premiumposition eingenommen und schoss ein Foto nach dem anderen.

Zu meiner Überraschung stieg wenig später die Nonne selbst auf meinen Tisch. Sie lächelte in die Kamera und zwinkerte mir zu. Ich war völlig von den Socken! Hatte mir die sexy Nonne wirklich zugezwinkert? Ich war plötzlich hellwach und fühlte mich sehr lebendig. Meine Schluckbeschwerden waren auf einmal verschwunden.

Dann sprach die Nonne zu den Menschen, die ihr andächtig zuhörten.

Als sich die Nonne im Tempel später den Schwerkranken widmete, stellten wir ihr Klaus vor. Die Nonne legte ihre Hände auf dessen Ohren und diagnostizierte einen Fall von Tinnitus. Sie hielt die Ohren fest in ihren Händen und sprach ein Gebet. Sie sagte, dass sein Leiden nun nach drei Nächten ein Ende finden würde. Begeistert strahlten wir die Nonne an, waren sprachlos und tief bewegt.

Wir verbeugten uns und dankten ihr.

Fotografien (Auswahl):